Führung quo vadis
In welcher Entwicklungsphase befindet sich Ihr Unternehmen?
Haben Sie sich einmal gefragt, welche Form von Führung ihr Unternehmen überhaupt zulässt?
Meist findet man zum Thema zahlreiche Artikel, Bücher, Videos und Interviews bei denen überlegt wird, wie eine Führungskraft ihre Führungsrolle gut leben kann. Es entsteht der Eindruck, dass die Führungskräfte, wenn sie nur alles „richtig“ machen, alles in der Hand haben.
Aber was ist, wenn auch das Unternehmen selbst, vor allem die Phase in dem es sich befindet, gute Führung verhindert oder ermöglicht?
Also betrachten wir einmal zwei Aspekte:
- die Entwicklungsphase der Entwicklung des Unternehmens selbst, in dem Führung betrachtet wird.
- die Entwicklungsphase der handelnden Führungskräfte und der obersten Leitung – dies in einem weiteren Artikel
Ich arbeite gerne mit dem Entwicklungsmodell der Firma Trigon, das aus folgenden Entwicklungsphasen besteht:
Stufe 1 ist die Pionierphase – die Stufe der Gründung eines Unternehmens.
Ein Unternehmen wird meist von einer oder einigen wenigen Personen gegründet und diese Person bzw. diese Personen bestimmen die Art und Weise, wie Führung gelebt wird und wie „Organisation“ funktioniert.
Für gewöhnlich haben Pioniere mehr Augenmerk auf Produkte, Kunden und Umsatz und weniger auf Prozesse, Rollen etc. Daraus entsteht eine Organisationsform, in der jeder dorthin greift, wo Hilfe gebraucht wird. Alle sind anfänglich begeistert und haben den Überblick.
In der Phase 1 gibt es meist wenig Ordnung, eine oder ein paar Führungskräfte – meist die Eigentümer – schreiten voran und alle anderen laufen hinten nach. Es gibt keine klar definierten Prozesse, meist keine Stellenbeschreibungen oder ähnliches, weil alles Hand in Hand geht. Die kleine Gruppe, die das Unternehmen am Leben erhält, arbeitet Hand in Hand.
Ab einer gewissen Größe (so ab ca. 100 MitarbeiterInnen) funktioniert diese Form immer schlechter, der Überblick geht verloren, die Begeisterung teilen nicht mehr alle, der Geist der Gründung weht leiser durch die Organisation
Es passieren Doppelgleisigkeiten oder an manchen Stellen werden die notwendigen Aufgaben nicht erledigt. Viele Fehler schleichen sich ein und die Führungskräfte und die MitarbeiterInnen haben das Gefühl, ständig Löcher stopfen zu müssen und Feuerwehr spielen zu müssen. Wächst man weiter und sorgt nicht für Ordnung, dann entsteht so etwas wie ein undurchsichtiges Dickicht – Außenstehende wundern sich, dass überhaupt noch etwas funktioniert.
Die 2. Stufe ist die Phase der Differenzierung. Wächst man aus Phase 1 heraus, dann wird es meist Zeit für das Einläuten von Phase 2.
Damit dieses Unternehmen weiter am Markt bestehen und weiterwachsen kann und die Kunden zufrieden sind, bedarf es einer überschaubaren Ordnungsstruktur. Dazu werden Organigramme erstellt, Stellenbeschreibungen geschaffen und Prozesse definiert.
Führung läuft entlang der Prozesse – die Aufgaben und Rollen sind klar und müssen gelebt werden – so kennst sich jeder aus.
Der Idealzustand ist: Jeder hat seine definierten Aufgaben und erfüllt sie auch, die Prozesse laufen nahezu fehlerfrei, Effizienz und Qualität sind im Fokus.
Wenn das System dies so zur Verfügung stellt und somit Klarheit schafft, dann können die Führungskräfte im Rahmen ihrer Rollen und Aufgaben entsprechend agieren.
Nicht jedes Unternehmen schafft es sich von Phase 1 in Phase 2 zu entwickeln.
Manchmal schaffen es die Eigentümer und die Führungskräfte nicht, die nächste Phase zu gestalten, weil sie diese Organisationsform niemals kennen gelernt haben oder weil sie die, meist persönlichen, Vorteile der Phase 1 nicht loslassen wollen.
Wenn passende Strukturen geschaffen sind, dann funktioniert diese Organisationsform für gewöhnlich sehr lange.
Wenn das Unternehmen jedoch zu rasch wächst – zum Beispiel mittels Firmenzukäufen und keine Zeit für entsprechende Integration gelassen wird, dann wird es auch in dieser Organisationsform unübersichtlich.
Schauen Sie sich bei großen Unternehmen um, welche vermehrt aus administrierenden Wasserköpfen und in Sackgassen laufenden Prozessen bestehen. Die Qualität und somit die Kundenzufriedenheit befinden sich bei diesen Unternehmen im Sinkflug. Ist genügend Kapital vorhanden, kann das sehr lange dauern. MitarbeiterInnen und Führungskräfte werden immer mehr frustriert, weil sie das Gefühl haben, dass sie nichts mehr wirklich unter Kontrolle haben.
Stufe 3 ist die Phase der Integration. Sie setzt eine sehr hohe Reife aller Beteiligten voraussetzt. In dieser Phase arbeiten alle aktiv und selbstverantwortlich am Unternehmenserfolg mit. Agilität und Selbststeuerung sind Begriffe aus dieser Phase.
Aber wann ist es überhaupt sinnvoll sich in ein agiles Unternehmen zu verwandeln?
Ich betrachte diese Szene schon seit geraumer Zeit und mir fällt auf, dass in Unternehmen, die mit der momentanen Organisationsform und den damit verbundenen Problemen schwer fertig werden, der Ruf nach Agilität und Selbststeuerung besonders groß werden.
Allerdings überlegen diese Unternehmen nicht, ob die Organisation und die dort arbeitenden Menschen inklusive aller Führungskräfte und Eigentümer überhaupt in der Lage sind, Agilität zu leben.
Wenn ich die Organisationsform ändert dann ändern sich die Probleme – sie gehen nicht weg. Mit welchen Problemen/Fragestellungen wollen Sie sich in Zukunft beschäftigen?
Wenn ich mit Führungskräften und MitarbeiterInnen über die Kriterien agiler Organisation spreche, dann können sich die wenigsten diese neue Form der Zusammenarbeit überhaupt vorstellen. Manche sprechen von einem Paradies, das sie aber als unerreichbar betrachten.[1]
Selbstverständlich gibt es Bereiche wo selbststeuernde Arbeitsgruppen bereits heute gut funktionieren und auch einige Beispiele von Unternehmen, die sich entweder in eine agile Organisation entwickelt haben oder die bereits so gegründet wurden.
Was sind die Kriterien, die diese Phase ausmachen? Hierarchie wird aufgehoben, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter orientieren sich an den Kundenbedürfnissen und arbeiten selbstverantwortlich in Teams.
Führung wird nicht mehr als „sagen was zu tun ist“ verstanden, sondern unterstützt den Prozess der Wertschöpfung.
Rollen verändern sich ständig, bei jeder Aufgabe wird danach gefragt, wer die meiste Kompetenz hat und die Person übernimmt dann eine gewisse Zeit lang die Führungsrolle. Kommunikation ist eines der wichtigsten Prinzipien, der Gruppendruck hilft dabei, sich vorwärts zu bewegen. Die Kunden werden stark in den Produktentwicklungsprozess miteinbezogen. Im Prinzip gibt es zwei „Kreise“: die einen, die mit dem Markt in engem Kontakt sind und die anderen die diese unterstützen.
Es gibt unterschiedliche Formate wie z.B. Holocracy, Scrum, u.a.m., die diese Organisationsform ermöglichen.
Daher ist es in agilen Organisationen besonders wichtig, Menschen einzustellen, die in einer agilen Organisation leben können und wollen.
Manchmal ist es besser, sich Mischformen zu überlegen – in welchen Bereichen braucht es die differenzierte Organisationsform und in welchen Bereichen kann man agile Arbeitsformen einführen?
Oft sind Instrumente aus der differenzierten Organisation – wie z.B. Handbücher, Ablaufbeschreibungen, Checklisten, etc. sehr hilfreich und viele Menschen wollen nach Vorgaben und Anweisungen arbeiten. Sie halten nichts von „Selbstverantwortung“ und freuen sich, wenn andere die Entscheidungen treffen.
Was passiert aber, wenn die oberste Führungsebene sich nicht an die Regeln und Normen der agilen Organisationsform hält? Wenn Verantwortung durch Anweisung overruled wird?
Daher meine Warnung und mein guter Tipp: überlegen Sie sich, wie ihre Organisation momentan gerade funktioniert und welche Probleme sie dann haben werden, wenn die Organisation selbstgesteuert funktioniert. Schauen Sie konkret auf die Menschen in ihrer Organisation, ob sie diese Art der Selbststeuerung und Agilität überhaupt leben könnten und ob sie in einer solchen Organisationsform arbeiten möchten.
Die Firmen Tele Haase[2] und Zappos[3] haben in der Anfangsphase zwischen 15%-18% ihrer MitarbeiterInnen verloren, weil diese nicht „agil“ arbeiten wollten.
Dazu lesen Sie auch den nächsten Artikel über die Ich Entwicklung von erwachsenen Menschen, der gibt Aufschluss darüber, welche Menschen (verortet im Modell der Ich-Entwicklung erwachsener Menschen) welche Organisationsform bevorzugen.
[1] Ein Buch, das ich dazu empfehle, ist das von Niels Pfläging: Organisation für Komplexität: Wie Arbeit wieder lebendig wird – und Höchstleistung entsteht. Red Line (2014) – hier geht’s zu meiner Rezension
[2] Homepage Tele Haase: https://www.tele-online.com/menschen-unternehmen/organisation/
[3] Bericht über Firma Zappos: https://www.cnbc.com/2016/09/13/zappos-ceo-tony-hsieh-the-thing-i-regret-about-getting-rid-of-managers.html